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22. Januar: Gotthold Ephraim Lessing wird in Kamenz in der kursächsischen Oberlausitz geboren. Der Vater Johann Gottfried Lessing (1693-1770), nach dem Studium in Wittenberg seit 1718 Mittwochsprediger und Katechet in Kamenz, seit 1724 Archidiakon, hat 1725 Justina Salome (geb. 1703) geheiratet, Tochter des Pastor Primarius (Oberpfarrers) Gottfried Feller (1674-1733). Gotthold
Ephraim ist das dritte Kind, der ältere Bruder Johann Gottfried schon gestorben. Die Schwester Dorothea Salome (1727-1803) wird Lessing um viele Jahre überleben. Von neun jüngeren Geschwistern sterben vier in jungen Jahren.

24. Januar: Lessings Taufe in St. Marien durch den Großvater Gottfried Feller.

26. Februar: Tod des Großvaters Feller.


8. Juni: Lessings Vater wird Amtsnachfolger seines verstorbenen Schwiegervaters. Die Familie zieht aus dem (1842 abgebrannten) Geburtshaus Lessings in das Pfarrhaus von St. Marien um.

Lessing besucht die öffentliche Stadtschule (Lateinschule) in Kamenz, deren Rektorat der Magister Johann Gottfried Heinitz (1712-1790) gerade übernommen hat. Heinitz setzt sich gegen den Widerstand von Lessings Vater für das Schultheater ein, das er in einer Programmschrift (1740) als »Schule der Beredsamkeit« feiert; 1740 wird unter seiner Leitung Gottscheds Mustertragödie Der sterbende Cato aufgeführt; der junge Lessing darf natürlich nicht mitspielen.


30. April: Lessings Vater richtet an den Kurfürsten von Sachsen, Friedrich August II. (1696-1763), ein erfolgreiches Gesuch um Gewährung einer (mit der Zahlung eines Beitrags verbundenen) »Koststelle« an der Fürstenschule St. Afra in Meißen für seinen Sohn.

10. Juli: Geburt des Bruders Karl Gotthelf (gest. 1812), während Lessings Hamburger und Wolfenbütteler Zeit einer seiner wichtigsten Briefpartner, später auch sein Biograph und Herausgeber seines Nachlasses.

21. Juni: Lessing besteht die Aufnahmeprüfung der Fürstenschule St. Afra (Übersetzung eines deutsch diktierten Aufsatzes ins Lateinische; Prüfung in Griechisch, Religion und Mathematik); aufgrund seiner Leistungen wird ihm ein halbes Jahr Schulzeit erlassen. In St. Afra wird der Grundstein zu Lessings gelehrter, vor allem philologischer Bildung gelegt. Jeder Tag umfasst zehn Unterrichts- und Arbeitsstunden. Den Schwerpunkt bilden Religion (25 Wochenstunden) und Latein (15), es folgen Griechisch mit vier, Hebräisch mit drei Wochenstunden, Französisch, Rhetorik, Mathematik, Geschichte und Erdkunde mit zwei Wochenstunden. Logik und Mathematik werden von dem Magister Johann Albert Klimm (1698-1778) unterrichtet, der, Anhänger des Philosophen Christian Wolff, die Schüler zum Teil in Privatstunden mit den neuesten Tendenzen in der Philosophie und Naturforschung sowie dem Englischen vertraut macht. Ein Sechstel des Jahres bleibt zum Selbststudium. Ferien gibt es nicht, nur zwei Wochen Urlaub alle zwei Jahre.

November: Lessing erhält auf vier Jahre eine Freistelle in St. Afra (Stiftung der Familie von Carlowitz); der Vater muss nur noch für die Kleidung aufkommen.

Es sieht aber wohl in der ganzen Stadt, in Betrachtung seiner vorigen Umstände, kein Ort erbärmlicher aus als unsere Schule. Sonst lebte alles in ihr, jezo scheint sie wie ausgestorben. Sonst war es was rares, wenn man nur einen gesunden Soldaten in ihr sahe, jezo sieht man ein Hauffen verwundete hier, von welchen wir nicht wenig Ungemach empfinden müßen.

An den Vater, 1. Februar 1746


8. Juni: Dem Gesuch des Vaters, den Sohn ein Jahr früher als üblich von der Schule nehmen zu dürfen, wird stattgegeben. Der Rektor schreibt an Lessings Vater: »Er ist ein Pferd, das doppeltes Futter haben muß. Die Lectiones, die andern zu schwer werden, sind ihm kinderleicht. Wir können ihn fast nicht mehr brauchen.«


20. September: Mit einem Stipendium der Stadt Kamenz wird Lessing an der Universität Leipzig als Student der Theologie immatrikuliert. Seine wichtigsten akademischen Lehrer sind allerdings der Mathematiker (und bekannte Epigrammatiker) Abraham Gotthelf Kästner (1719-1800) und der Altertumskundler Johann Friedrich Christ (1700-1756). Kästner wirkt vor allem durch seine Disputationsseminare (Kolloquien über philosophische Streitfragen). Lessing bleibt ihm, der ihn bei seinem Lustspiel Der junge Gelehrte beraten hat, auch später verbunden; noch von Wolfenbüttel aus besucht er ihn. Freundschaft mit dem Dichter Christian Felix Weiße (1726-1804) und mit Christlob Mylius (1722-1754), dessen Vater in zweiter Ehe mit einer Schwester von Lessings Vater verheiratet war (Mylius – oft ungenau als Vetter Lessings bezeichnet – stammt aus der dritten Ehe seines Vaters). Eine Verssatire gegen die Theaterfeindschaft von Lessings Vater hat ihn zum schwarzen Schaf der Familie gemacht, der er als ›Freigeist‹ (also fast als Atheist) gilt. Gemeinsam mit Weiße übersetzt Lessing für die Schauspieltruppe der Caroline Neuber (1697-1760) französische Stücke gegen Freikarten.

Hochzuehrende Frau Mutter,

Ich komme jung von Schulen, in der gewißen Ueberzeugung, daß mein ganzes Glück in den Büchern bestehe. [...] Ich lernte einsehen, die Bücher würden mich wohl gelehrt, aber nimmermehr zu einen Menschen machen. Ich wagte mich von meiner Stube unter meines gleichen. Guter Gott! was vor eine Ungleichheit wurde ich zwischen mir und andern gewahr.

[...] Ich legte die ernsthafften Bücher eine zeitlang auf die Seite, um mich in denjenigen umzusehn die weit angenehmer, und vielleicht eben so nützlich sind. Die Comoedien kamen mir zur erst in die Hand. Es mag unglaublich vorkommen, wem es will, mir haben sie sehr große Dienste gethan. Ich lernte daraus eine artige und gezwungne, ein grobe und natürliche Aufführung unterscheiden. Ich lernte wahre und falsche Tugenden daraus kennen, und die Laster eben so sehr wegen ihres lächerlichen als wegen ihrer Schändlichkeit fliehen. [...] Doch bald hätte ich den vornehmsten Nutzen, den die Lustspiele bey mir gehabt haben, vergeßen. Ich lernte mich selbst kennen, und seit der Zeit habe ich gewiß über niemanden mehr gelacht und gespottet als über mich selbst.

An die Mutter, 20. Januar 1749

Januar: Erfolgreiche Uraufführung des Lustspiels Der junge Gelehrte durch die Neubersche Truppe.


Februar: Die Eltern rufen den Sohn – besorgt vor allem über seinen Umgang mit Komödianten – unter dem Vorwand, die Mutter liege im Sterben, nach Hause.


14. April: Zu Beginn des Sommersemesters kehrt Lessing nach Leipzig zurück, jetzt als Medizinstudent und nachdem die Eltern seine Schulden bezahlt haben. Er bürgt jedoch für die Schulden einiger Schauspieler, die sich bei der Auflösung der Neuberschen Truppe aus dem Staube machen.


Ende Juni / Anfang Juli: Mylius reist zur Beobachtung der Sonnenfinsternis (25. Juli) nach Berlin. Lessing folgt ihm, ohne seine Leipziger Freunde ins Bild zu setzen, erkrankt in Wittenberg und nimmt dort im August das Medizinstudium wieder auf.

[...] Ich bin mir niemals selbst zu einer unerträglichern Last gewesen als damals.

An die Mutter, 20. 1. 1749

Als ihn die Leipziger Gläubiger auch da erreichen, begleicht er seine Schulden mit den Mitteln seines Stipendiums, bricht das Studium ab und erarbeitet sich (ab November) seinen Lebensunterhalt als freier Schriftsteller, etwa als Journalist, in Berlin. Er wohnt zusammen mit Mylius in der Spandauer Straße 68.

Ich hätte längst unterkommen können, wenn ich mir, was die Kleidung anbelangt, ein beßers Ansehen hätte machen können.

[...] Nach Hause komme ich nicht. Auf Universitäten gehe ich jezo auch nicht wieder, weil außerdem die Schulden mit meinem Stipendiis nicht können bezahlt werden, und ich Ihnen diesen Aufwand nicht zu muthen kan. Ich gehe ganz gewiß nach Wien, Hamburg oder Hannover.

[...] Wenn ich auf meiner Wanderschafft nichts lerne so lerne ich mich doch in die Welt schicken. Nuzen genug! Ich werde doch wohl noch an einen Ort kommen, wo sie so einen Flickstein brauchen, wie mich.

An die Mutter, 20. Januar 1749

10. Juli: Voltaire (1694-1778) trifft auf Einladung Friedrichs II. (1712-1786) in Berlin ein. Aufgrund der Empfehlung seines Privatsekretärs Richier de Louvain gibt er Lessing Übersetzungsaufträge.

[...] ich glaube es kann mir kein Vorwurff seyn, wenn man mich auch an mehrern Orten als in Camenz kennt.

An den Vater, 10. April 1749

Ich mache keine Rechnung drauf, und habe meine Sachen so eingerichtet, daß ich auch ohne sie, diesen Winter gemächlich in Berlin leben kann. Gemächlich heißt bey mir, was ein andrer vielleicht, zur Noth nennen würde.

An den Vater, 2. November 1750


Ende Dezember: Lessing reist nach Wittenberg, um sein Universitätsstudium zu einem Abschluss zu bringen. Die Korrekturbögen von Voltaires Le Siècle de Louis XIV., die ihm Richier unerlaubter Weise geliehen hat, gibt Lessing erst nach vollendeter Lektüre aus der Hand und schickt sie deshalb erst aus Wittenberg zurück. Zu spät: Voltaire unterstellt Lessing bereits die Absicht eines Raubdruckes. Die Folge ist großes Aufsehen in Berlin, nicht zuletzt am Hof.

29. April: Lessing legt das Magisterexamen ab; wahrscheinlich mit Arbeiten zu dem spanischen Arzt Juan Huarte (um 1529-1588), dessen Begabungsdiagnostik er ins Deutsche überträgt. Im November des arbeitsreichen und kargen Jahres kehrt Lessing nach Berlin zurück. Seine Wohnung ist jetzt der Nikolaikirchhof 10 (in der Nähe der Vossischen Buchhandlung). Die Mitgliedschaft im Montagsklub vermittelt neue Bekanntschaften, unter anderem mit dem Buchhändler und Verleger Christian Friedrich Voß (1722-1795) und mit Karl Wilhelm Ramler (1725-1798), seit 1748 Professor der Philosophie und der schönen Wissenschaften an der Berliner Kadettenschule. Ramler, mit dem Lessing eine lebenslange Freundschaft verbindet, ist vor allem für seine Übersetzungen (Batteux und Horaz) bekannt; die rhetorische Orientierung bestimmt sein Dichtungsideal, sodass er heute fast unbekannt ist. Bis zu seinem Lebensende wird Lessing ihm seine Verse zur poetischen Korrektur übersenden. Dem Montagsklub gehört auch der Schweizer Popularphilosoph, Psychologe und Ästhetiker Johann Georg Sulzer (1720-1779) an, doch scheint ein näherer Kontakt zu Lessing erst ab 1755 entstanden zu sein.

28. Febr.: Christlob Mylius bricht zu einer von zahlreichen Sponsoren (darunter Albrecht von Haller) finanzierten Forschungsreise nach Amerika auf. Vermutlich gegen Ende des Jahres, vielleicht aber auch schon früher, macht Lessing die Bekanntschaft mit dem gleichaltrigen Juden Moses Mendelssohn (1729-1786), der ihm zum lebenslangen hochgeschätzten Freund und philosophischen Diskussionspartner wird.


Zur Michaelismesse (im Herbst) erscheint der erste Band der Schrifften, in denen Lessing den Ertrag seines bisherigen Schaffens dem Publikum vorstellt; der sechste (und letzte) Band (Miß Sara Sampson, Der Misogyne) wird 1755 herauskommen.

6. März: Mylius stirbt an einer Lungenentzündung in London. Lessing wird Auszüge aus seinem Werk mit einer sehr kritischen Vorrede herausgeben. Im Laufe des Jahres lernt Lessing den Buchhändler und Verleger Friedrich Nicolai (1733-1811) kennen, der sich bereits als (autodidaktisch gebildeter) Literaturkritiker hervorgetan hat. Lessing wiederum macht Nicolai mit Mendelssohn bekannt. Beginn eines regen und intensiven Gedankenaustauschs und einer zeitweiligen Zusammenarbeit der drei Freunde. Aufgrund seiner bedeutenden Herausgebertätigkeit (etwa die Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste sowie die Allgemeine deutsche Bibliothek) wird Nicolai zu einer zentralen Figur der Berliner Aufklärung.

10. Juli: Lessing erlebt mit Ramler in Frankfurt an der Oder die Uraufführung seiner Miß Sara Sampson durch die Ackermannsche Truppe. Großer Erfolg, viele Tränen im Publikum.

Die erste Jahreshälfte bringt die Bekanntschaft mit Johann Wilhelm Ludwig Gleim (1719-1803) und Ewald Christian von Kleist (1715-1759). Gleim, der in Halberstadt eine einträgliche Stelle hat (Domsekretär und Kanonikus), ist ein Repräsentant der anakreontischen Dichtung; nach dem Ausbruch des Siebenjährigen Krieges verherrlicht er in den Preussischen Kriegsliedern [...] von einem Grenadier den Feldzug Friedrichs II. Lessing unterstützt die Fiktion vom einfachen dichtenden Soldaten. Ewald von Kleist, bekannt durch sein Gedicht Der Frühling (1749), gehört als preußischer Hauptmann zur Potsdamer Garnison.


Mitte Oktober: Lessing gibt seine Stelle als Redakteur an der Berlinischen Privilegierten Zeitung auf und geht wieder nach Leipzig. Im Herbst verpflichtet er sich, gegen die Erstattung der Reisekosten und ein Jahresgehalt von 300 Talern den Leipziger Kaufmannssohn Gottfried Winkler (geb. 1731) auf eine vierjährige Europareise zu begleiten.

Februar: Lessing studiert einige Wochen die Kunstschätze Dresdens. Am 19. März kehrt er nach Leipzig zurück, nachdem er zuvor seine Eltern von Dresden nach Kamenz begleitet hat.


April: Mit seinem früheren Lehrer Christ bereitet Lessing die geplante Reise vor.

10. Mai: Beginn der Reise: Magdeburg, Halberstadt (Besuch Gleims), Wolfenbüttel und Hamburg, wo Lessing den Schauspieler Konrad Ekhof (1720-1778) sowie Klopstock (1724-1803) kennenlernt.


29. Juli: Ankunft in Amsterdam, von wo aus die Reise nach England weitergehen soll.


29. August: Beginn des Siebenjährigen Krieges. Als Leipzig von den Preußen besetzt wird, beschließt Winkler, die Reise abzubrechen. Lessing hat in der Folge einen siebenjährigen Prozess wegen der Reisekosten zu führen, den er zwar im Oktober 1764 gewinnt, die Prozesskosten verschlingen allerdings die Hälfte der zugesprochenen Summe.


Ende September: Ankunft in Leipzig; Lessing wohnt, wie zuvor, im Winklerschen Haus (der »Feuerkugel« am Neuen Neumarkt), in dem auch preußische Offiziere einquartiert sind.

Ja freylich bin ich, leider, wieder in Leipzig. Dank sey dem Könige von Preussen! Wir wollten eben nach England übergehen, als wir über Hals über Kopf wieder zurück reisen mußten.

An Moses Mendelssohn, 1. Oktober 1756

Mitte März: Ewald von Kleist wird als Major des Hausenschen Infanterieregimentes nach Leipzig versetzt. Er leitet das Lazarett und die Ausbildung sächsischer Rekruten. Am 26. März erkrankt er schwer und wird von Lessing, Weiße und Gleim, der im April nach Leipzig kommt, betreut.


Mai: Winkler ist verärgert über Lessings Umgang mit preußischen Offizieren, kündigt Lessing Wohnung und Vertrag und weigert sich, die vereinbarten 600 Taler Entschädigung zu zahlen. Das Jahr, das Lessing noch in Leipzig verweilt, ist geprägt von Geldnot (er verdient den Lebensunterhalt durch Übersetzungen; Mendelssohn unterstützt ihn mit 60 Talern, von Kleist erhält er 100 Taler), der Stellensuche (Kleist verwendet sich vergeblich für ihn) und vom Prozess, den er (Mitte Mai) gegen Winkler anstrengt.

Mein Proceß geht so geschwinde, als ein Proceß in Sachsen gehen kann, und da ich in der nächsten Woche wieder einen Termin habe, so muß ich schon so lange noch hier bleiben. Ich sehne mich mehr, als Sie glauben können, bald wieder in Berlin zu seyn; denn das Leben, das ich hier führen muß, ist allen meinen Absichten und Neigungen zuwider.

An Moses Mendelssohn, 22. Oktober 1757

8. Mai: Lessing kehrt nach Berlin zurück und wohnt in Ramlers Nähe in der Heiligen-Geist-Straße 52. Für das Leben in Berlin sind gemeinsame Projekte (mit Ramler, Mendelssohn und Nicolai) charakteristisch, die in einer Atmosphäre der Geselligkeit gedeihen. Treffpunkte sind die Baumannshöhle, ein Weinlokal in der Brüderstraße 27, oder das Resewitzer Kaffeehaus; auch verkehrt Lessing weiterhin im literarischen Montagsklub und tritt dem (von Sulzer mitbegründeten) Freitagsklub bei.

12. August: Kleist – die Sicherheitsvorschriften für preußische Offiziere mißachtend – wird in der Schlacht bei Kunersdorf, in der die Preußen von den Russen geschlagen werden, schwer verwundet und stirbt am 24. Aug. in einem Lazarett in Frankfurt an der Oder. Lessing bekundet eine »wilde Trauer«.

Unter meine Bücher also wieder verwiesen, habe ich meine alte Lebensart fortgesetzet, bey der sich täglich meine Lust zu studieren vermehret, und meine Lust zu schreiben vermindert.

An Johann Gotthelf Lindner, 30. Dezember 1759

April (oder Dezember): Der jüngste Bruder Erdmann Salomo Traugott (geb. 1741), der als Offiziersbursche mit den Sachsen nach Polen durchgebrannt und seither für die Familie verschollen ist, stirbt in einem Warschauer Lazarett.

Ich werde also künftigen Sommer zu thun genug haben. Und so lange ich noch von meiner Arbeit leben kann, und ziemlich gemächlich leben kann, habe ich nicht die geringste Lust, der Sklave eines Amts zu werden. Trägt man mir eines an, so will ich es annehmen; aber den geringsten Schritt nach einem zu thun, dazu bin ich, wo nicht eben zu gewißenhaft, doch viel zu commode und nachläßig.

An den Vater, 3. April 1760


23. Oktober: Lessing wird (gegen Sulzers Stimme) zum auswärtigen Mitglied der Berliner Akademie der Wissenschaften gewählt.


7. November: Ohne von seinen Freunden Abschied zu nehmen, verlässt Lessing Berlin und reist nach Breslau, wo er beim Generalleutnant Bogislaw Friedrich von Tauentzien (1710-1791) die Stelle eines Gouvernementssekretärs übernimmt. Lessing hat Tauentzien durch Kleists Vermittlung bereits 1758 in Leipzig kennengelernt.

Sie werden sich vielleicht über meinen Entschluß wundern. Die Wahrheit zu gestehen, ich habe jeden Tag wenigstens eine Viertelstunde, wo ich mich selbst darüber wundere.

An Karl Wilhelm Ramler, 6. Dezember 1760

Ach, bester Freund, Ihr Lessing ist verlohren! In Jahr und Tag werden Sie ihn nicht mehr kennen. Er sich selbst nicht mehr. O meine Zeit, meine Zeit, mein Alles, was ich habe - sie so, ich weiß nicht was für Absichten aufzuopfern! Hundertmahl habe ich schon den Einfall gehabt, mich mit Gewalt aus dieser Verbindung zu reißen. Doch kann man einen unbesonnenen Streich mit dem andern wieder gut machen?

An Moses Mendelssohn, 30. März 1761

Ich bin meiner jetzigen Situation so überdrüßig, als ich noch einer in der Welt gewesen bin. Nur bald Friede, oder ich halte es nicht länger aus!

An Karl Wilhelm Ramler, 30. Mai 1762

15. Februar: Der Hubertusburger Friede beendet den Siebenjährigen Krieg, Lessing wohnt der Verkündigung des Friedensschlusses in Breslau bei.


Mitte Juli: Lessing begleitet Tauentzien nach Potsdam; in Berlin, wo er die Freunde Mendelssohn, Nicolai und Ramler verfehlt, bleibt seine Hoffnung auf eine angemessene Anstellung unerfüllt.

Oktober: Rückkehr nach Breslau mit Tauentzien, der zum Gouverneur von Schlesien ernannt worden ist.

Ich warte nur noch einen einzigen Umstand ab, und wo dieser nicht nach meinem Willen ausfällt, so kehre ich zu meiner alten Lebens Art wieder zurück.

An den Vater, 30. November 1763

Ich bin über die Helfte meines Lebens, und ich wüßte nicht, was mich nöthigen könnte, mich auf den kürzern Rest deßselben noch zum Sklaven zu machen.

An den Vater, 13. Juni 1764 

Die ernstliche Epoche meines Lebens nahet heran; ich beginne ein Mann zu werden, und schmeichle mir, daß ich in diesem hitzigen Fieber den letzen Rest meiner jugendlichen Thorheiten verraset habe. Glückliche Krankheit!"

An Karl Wilhelm Ramler, 5. Aug. 1764


Vermutlich November: Lessing gibt den Posten bei Tauentzien auf.

Mitte April: Lessing verlässt Breslau und reist über Kamenz (Besuch bei den Eltern) und Leipzig, wo er Weiße und Nicolai wiedersieht, nach Berlin.


Mitte Mai: Ankunft in Berlin; Lessing wohnt bei dem Kupferstecher Schleuen Am Königsgraben 10. Vergebliche Stellensuche bis zu dem Angebot aus Hamburg (November 1766). Mit Laokoon, dessen Veröffentlichung (März 1766) er gezielt betreibt, will sich Lessing auf dem Gebiet der Altertumskunde ausweisen. Hoffnungen macht er sich auf die Stelle des Vorstehers der Königlichen Bibliothek und des Münz- und Altertumskabinetts in Berlin, die im Februar 1765 frei geworden und auch Johann Joachim Winckelmann (1717-1768) angeboten worden ist, auf ein Amt an den Kunstsammlungen in Dresden oder am Antiken- und Münzkabinett in Kassel, das er im August 1766 besuchen wird.

Mitte Juni: Lessing reist als Gesellschafter des jungen Leopold von Brenckenhoff nach Pyrmont, wo er Justus Möser (1720-1794) und Thomas Abbt (1738-1766) kennenlernt.


4. November: Anfrage Johann Friedrich Löwens (1727-1771) bei Nicolai, ob Lessing als Dramatiker am Hamburger Nationaltheater wirken möchte.

Ich kann Dir nur erst so viel melden, daß die bewußte Sache, derentwegen ich hauptsächlich hier bin, einen sehr guten Gang nimmt, und daß es nur auf mich ankömmt, sie mit den vortheilhaftesten Bedingungen zu schließen.

An Karl Lessing, 22. Dez. 1766

Ich habe allerdings mit dem dortigen neuen Theater, und den Entrepreneurs deßelben, eine Art von Abkommen getroffen, welches mir auf einige Jahre ein ruhiges und angenehmes Leben verspricht.

An Johann Wilhelm Ludwig Gleim, 1. Februar 1767

Anfang April: Lessing verlässt Berlin und reist nach Hamburg. Mit den Unternehmern des Hamburger Nationaltheaters hat er ein Abkommen getroffen, das ihm genügend Freiheit lässt. Seine Rolle als Journalist des neuen Theaters scheint sich erst allmählich herauskristallisiert zu haben. Lessing mietet sich am Brook beim Kaufmann und Kommissionsrat Schmid ein. Neben der Arbeit am Hamburger Nationaltheater stürzt sich Lessing in ein geschäftliches Unternehmen: Ostern 1767 errichtet Johann Joachim Christoph Bode (1730-1793) in Hamburg eine Druckerei, die zugleich eine unabhängige Verlagsanstalt sein soll. Eine Buchreihe Deutsches Museum wird geplant. Lessing wird Teilhaber und steckt einen großen Teil des Erlöses aus dem Verkauf seiner Bibliothek (ca. 6000 Bände) in das Unternehmen, das sich jedoch zum finanziellen Desaster entwickelt.

Mit unserm Theater (das im Vertrauen!) gehen eine Menge Dinge vor, die mir nicht anstehn. Es ist Uneinigkeit unter den Entrepreneurs, und keiner weiß, wer Koch oder Kellner ist. Indeß habe ich den Anfang zu dem Wochenblatte gemacht, wovon Du hier die ersten Stücke erhältst. Sie sind in meiner eigenen Druckerey gedruckt; denn da ich mich doch auf einige Weise hier fixiren wollte, so habe ich mich bereden lassen, die Druckerey eines gewissen Herrn Bode zu übernehmen, der mit einem russischen Obristen auf Reisen gegangen ist. Ich werde ja sehen, wie es damit geht.

An Karl Lessing, 22. Mai 1767


In der ersten Jahreshälfte bringt Lessing eine Sammelausgabe seiner Lustspiele (Lustspiele, Teil 1 und 2) heraus; der zweite Teil enthält Minna von Barnhelm.

Ich bin hier fremder als an einem Orte, wo ich noch gewesen, und kann mich kaum einem oder zwey vertrauen, deren Beystand ich bereits mehr als gebraucht habe, und deren Kräfte doch auch nicht weit reichen.

An den Vater, 20. März 1768

19. April: Offizielles Ende der Hamburgischen Dramaturgie; Lessing und Löwen legen ihre Ämter am Hamburgischen Theater nieder; nach einer Interimsphase fällt die Leitung (im März 1769) an den Prinzipal Konrad Ackermann (1710 [1712?]-1771) zurück, der mit der Truppe weiterzieht.


Mitte Oktober: Lessing besorgt in Bodes Druckerei den Druck von Heinrich Wilhelm von Gerstenbergs (1737-1823) Trauerspiel Ugolino, mit dem er sich intensiv beschäftigt.


Bekanntschaften und näherer Umgang während der Hamburger Jahre unter anderem mit Klopstock; mit Matthias Claudius (1740-1815); mit dem orthodoxen Hauptpastor Johann Melchior Goeze (1717-1786), seinem späteren Gegner im sogenannten Fragmentenstreit, und dem liberalen Pastor Julius Gustav Alberti (1723-1772); mit der Familie des Kaufmanns, Unternehmers und Hamburger Großbürgers Engelbert König (1728-1769), dessen Frau Eva König (1736-1778), die Lessing später (1776) heiraten wird; mit der Familie von Hermann Samuel Reimarus (1694-1768), dessen Kinder Johann Albert Hinrich (1729-1814) und Elise (1735-1805) eine Schlüsselrolle bei der Veröffentlichung der Fragmente spielen werden; des weiteren lernt er den Musikdirektor der Hamburger Kirchen, Carl Philipp Emanuel Bach (1714-1788), und Johann Arnold Ebert (1723-1795) kennen, der seit 1748 Privatlehrer und seit 1753 Professor für Geschichte und englische Literatur am Collegium Carolinum in Braunschweig ist.


Nach dem Scheitern der Hamburger Theater-Entreprise ist Lessing erneut auf Stellensuche. Neben vagen Plänen einer Italienreise scheint ihm Klopstocks (nie realisiertes) Projekt, in Wien unter der Schutzherrschaft des aufgeklärten Kaiser Josephs II. (1741-1790) eine Deutsche Akademie für Kunst und Wissenschaft zu gründen, vielversprechend.

Mein Weg soll von hier nach Göttingen, Cassel und Nürnberg gehen. Ob von da weiter über Wien, das weiß ich selbst noch nicht. Wenigstens denke ich gar nicht mehr daran, mich in die geringste Verbindung einzulassen.

An Friedrich Nicolai, 26. Mai 1769


September: Johann Arnold Ebert übermittelt Lessing das Angebot des Braunschweiger Erbprinzen Karl Wilhelm Ferdinand (1735-1806), die Stelle des Bibliothekars an der Wolfenbütteler Bibliotheca Augusta zu übernehmen.

Die Wolfenbüttelsche Bibliothek hat seit 56 immer außerordentliche Reitze für mich gehabt, und ich denke sie gewiß zu nutzen. Wer nur erst in Ruhe da wäre!

An Christian Friedrich Voß, 30. Oktober 1769


18. oder 20. November: Lessing reist nach Braunschweig.


Dezember: Ernennung zum Bibliothekar mit einem Jahresgehalt von 600 Talern und freier Wohnung, zudem soll die Italienreise gefördert werden.


9. Dezember: Engelbert König stirbt auf einer Geschäftsreise in Venedig.


20. Dezember: Lessing kehrt nach Hamburg zurück.

Ich stecke hier in Schulden bis über die Ohren, und sehe schlechterdings noch nicht ab, wie ich mit Ehren weg kommen will.

An Karl Lessing, 4. Januar 1770

Das Rad ist lange gedrehet worden; und siehe, endlich kömmt eine Zahl heraus, von der ich mir nie etwas versprochen hatte.

An Johann Wilhelm Ludwig Gleim, 8. Januar 1770

Das Sperlingsleben auf dem Dache, ist nur recht gut, wenn man ihm kein Ende abzusehen braucht. Wenn es nicht immer dauern kann, dauert es jeden Tag zu lange.

An Johann Arnold Ebert, 13. März 1770


Ende Februar und Anfang April: Auf dem Weg nach Frankreich und auf seiner Rückreise besucht Johann Gottfried Herder (1744-1803) Lessing in Hamburg.


21. April: Ankunft in Braunschweig.

7. Mai: Feierliche Einführung in das Amt. Lessing bezieht fünf Zimmer in dem (sonst unbewohnten) herzoglichen Schloß in Wolfenbüttel.

Ich wohne in einem großen verlaßenen Schloße ganz allein: und der Abfall von dem Zirkel, in welchem ich in Hamburg herumschwärmte, auf meine gegenwärtige Einsamkeit ist groß, und würde jedem unerträglich seyn, der nicht alle Veränderung von Schwarz in Weis so sehr liebt als ich.

An Friedrich Nicolai, 17. Mai 1770

10. Juni: Beginn des Briefwechsels mit Eva König.

Es ist alles itzt so weitläuftig und öde um mich, daß ich zu mancher Stunde gern wie viel darum geben wollte, wenigstens von meinen kleinen Gesellschaftern in Hamburg etwas um mich zu haben.

An Eva König, 10. Juni 1770

Das allerbeste aber dabey ist die Bibliothek, die Ihnen schon dem Ruhme nach bekannt seyn muß, die ich aber noch weit vortrefflicher gefunden habe, als ich mir sie jemals eingebildet hätte. Ich kann meine Bücher, die ich aus Noth verkauffen müßen, nun sehr wohl vergeßen. Ich wünschte in meinem Leben noch das Vergnügen zu haben, Sie hier herum führen zu können, da ich weis was für ein großer Liebhaber und Kenner Sie von allen Arten von Büchern sind. Eigentliche Amtsgeschäfte habe ich dabey keine andere, als die ich mir selbst machen will. Ich darf mich rühmen, daß der Erbprintz mehr darauf gesehen, daß ich die Bibliothek, als daß die Bibliothek mich nutzen soll.

An den Vater, 27. Juli 1770


22. August: Lessings Vater stirbt im Alter von 77 Jahren.


Mitte / Ende Oktober: Besuch Moses Mendelssohns in Wolfenbüttel und Braunschweig.

November: Lessing mietet bei dem Weinhändler Angott am Ägidienmarkt in Braunschweig ein Quartier. Seine Freunde trifft er häufig im Gasthaus Zum großen Weghause, das zwischen Braunschweig und Wolfenbüttel liegt; Lessing erreicht es gelegentlich zu Fuß.

Zu Lessings Bekanntenkreis in Braunschweig und Wolfenbüttel gehören unter anderem der Hofprediger und neologische Theologe Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem (1709-1789); dessen Sohn Karl Wilhelm Jerusalem (1747-1772); vor allem jedoch die Professoren am Collegium Carolinum, neben Ebert namentlich Konrad Arnold Schmid (1716-1789), Professor der Religionswissenschaft und der lateinischen Sprache (seit 1761), ferner der Dichter und Kritiker Just Friedrich Wilhelm Zachariae (1726-1777), seit 1761 Professor der Dichtkunst (er hat zudem die Aufsicht über die Buchhandlung und Druckerei des Waisenhauses und ist leitender Redakteur Braunschweigischer Zeitungen), sodann Johann Joachim Eschenburg (1743-1820), seit 1767 Hofmeister, 1773 zum außerordentlichen Professor und 1777 zum Ordinarius (Lehrstuhl für schöne Literatur und Philosophie) ernannt; seit 1782 auch Bibliothekar. Eschenburg ist Literaturtheoretiker und Anglist; 1775-1782 übersetzt er erstmals Shakespeares sämtliche Werke (in Prosa). Nach Lessings Tod verwaltet er dessen Nachlass. Unter den Hofleuten scheint Lessing der Kammerherr Johann von Kuntzsch freundschaftlich nahe gestanden zu haben.

Ich beurtheile Sie hierinn nach mir: denn unmöglich, denke ich, würde ich bey meiner alten Mutter, und an dem Orte, wo ich meine Jugend vergnügt zugebracht, mißvergnügt seyn können. Es mengen sich da zu viel angenehme Ideen der Erinnerung in die gegenwärtigen Empfindungen: und im Grunde ist es immer eins, ob man sich über das Gegenwärtige oder über das Vergangene zu freuen hat; wenn man sich denn nur freuet.

An Eva König, 5. März 1771

Nicht wahr, Sie müssen lachen, wenn Sie mich und Cour machen zugleich denken? Ich gehe auch dazu, als ob ich dazu geprügelt würde.

An Eva König, 23. Mai 1771

Der Bücherstaub fällt immer mehr und mehr auf meine Nerven, und bald werden sie gewißer feinen Schwingungen ganz und gar nicht mehr fähig seyn.

An Johann Wilhelm Ludwig Gleim, 6. Juni 1771

Ich komme hier zu keinem Menschen, und nie von meiner Stube, als wenn ich auf die Bibliothek gehe.

An Karl Lessing, 4. Juli 1771


6. bis 21. August: Besuch des Ehepaars Reiske in Wolfenbüttel. Lessing pflegt mit dem Orientalisten und Gräzisten Johann Jakob Reiske (1716-1774) einen gelehrten Kontakt und ist ihm als Bibliothekar bei dessen Veröffentlichungen behilflich.


Ende August: Lessing bekommt zwei Monate Urlaub bewilligt. Am 31. August reist er nach Hamburg.

Anfang September: Verlobung mit Eva König.

17. September: Weiterreise nach Berlin, wo Lessing die Ausgabe seiner Vermischten Schriften vorbereitet. Während dieses Aufenthalts spricht er mit den Freunden Nicolai und Mendelssohn über das hochbrisante Reimarus-Manuskript, in dem der allseits geachtete Hamburger Gelehrte eine schonungslose historische Kritik am Neuen Testament hinterlassen hat.

Wollte nur der Himmel, daß Ihnen die Versicherung, bey dem allen noch eine Person in der Welt zu wissen, die Sie über alles liebt, zu einigem Troste gereichen könnte! Diese Person erwartet alle Glückseligkeit, die ihr hier noch beschieden ist, nur allein von Ihnen, und sie beschwört Sie, um dieser Glückseligkeit willen, sich allem Kummer über das Vergangene zu entreißen, und Ihre Augen lediglich auf eine Zukunft zu richten, in welcher es mein einziges Bestreben seyn soll, Ihnen neue Ruhe, neues von Tag zu Tag wachsendes Vergnügen zu verschaffen.

An Eva König, 29. September 1771


Anfang Oktober: Rückreise nach Hamburg.

14./15. Oktober: Aufnahme in die Freimaurer-Loge »Zu den drei Rosen« und Ausstellung des Logenpasses.

31. Oktober: Rückkehr nach Braunschweig.

Nach der Verlobung mit Eva König sieht sich Lessing genötigt, seine finanzielle Lage aufzubessern (und seine Hamburger Schulden loszuwerden). Seine Bemühungen um eine Gehaltserhöhung ziehen sich jahrelang hin und verbittern Lessing das Leben. Erst im Juni 1776 kommt es (nach mehreren unerfüllt gebliebenen Angeboten) zu einer Aussprache mit dem Erbprinzen und zu einer für Lessing akzeptablen Regelung.

Ich sage Dir also kurz und gut – Ob ich schon mit meiner gegenwärtigen Situation eigentlich nicht Ursache habe, unzufrieden zu seyn, auch wirklich nicht bin; so sehe ich doch voraus, daß meine Beruhigung dabey in die Länge nicht dauern kann. Besonders würde ich die Einsamkeit, in der ich zu Wolfenbüttel nothwendig leben muß, den gänzlichen Mangel des Umgangs, wie ich ihn an andern Orten gewohnt gewesen, auf mehrere Jahre schwerlich ertragen können. Ich werde, mir gänzlich selbst überlassen, an Geist und Körper krank: und nur immer unter Büchern vergraben seyn, dünkt mich wenig besser, als im eigentlichen Verstande begraben zu seyn.

An Karl Lessing, 14. November 1771


1771 erscheint der erste Band der Vermischten Schriften, unter anderem mit Lessings Epigrammdichtung und den Zerstreuten Anmerkungen über das Epigramm. Die restlichen Teile 2-14 werden von Karl Lessing und Johann Joachim Eschenburg erst nach Lessings Tod herausgegeben.

Ich kann gar nicht sagen, daß mir dieser Aufenthalt [in Braunschweig] angenehm sey, und ich wollte zehnmal lieber ganz einsam in meinem Wolfenbüttel sitzen, als alle die hiesigen Lustbarkeiten mitnehmen, die ohnedem schon so herzlich schaal sind.

An Eva König, 9. Januar 1772

13. Februar: Lessing erhält die Druckerlaubnis für die Beiträge Zur Geschichte und Litteratur; sie werden von der Zensur dispensiert. Die Reihe dient ihm (ab dem dritten Beitrag 1774) zur Veröffentlichung der Reimarus-Fragmente.


Mitte Februar: Eva König bricht zu ihrem zweiten, dreieinhalb Jahre währenden Aufenthalt nach Wien auf, wo sie den Verkauf der zwei Fabriken ihres verstorbenen Mannes leitet.


Zur Ostermesse gibt Lessing die Trauerspiele heraus, darunter erstmals Emilia Galotti.

Ich will hier seyn, wie wir überhaupt in der Welt seyn sollten: gefaßt, alle Augenblicke aufbrechen zu können, und doch willig, immer länger und länger zu bleiben.

An Eva König, 1. Mai 1772

Mir aber ist itzt nicht selten das ganze Leben so ekel – so ekel! Ich verträume meine Tage mehr, als daß ich sie verlebe. Eine anhaltende Arbeit, die mich abmattet, ohne mich zu vergnügen; ein Aufenthalt, der mir durch den gänzlichen Mangel alles Umganges – (denn den Umgang, welchen ich haben könnte, den mag ich nicht haben) – unerträglich wird; eine Aussicht in das ewige, liebe Einerley – das alles sind Dinge, die einen so nachtheiligen Einfluß auf meine Seele, und von der auf meinen Körper haben, daß ich nicht weiß, ob ich krank oder gesund bin. 

An Eva König, 27. Juni 1772

Sie wissen, meine Liebe, was ich Ihnen oft gestanden habe: daß ich es auf die Länge unmöglich hier aushalten kann. Ich werde in der Einsamkeit, in der ich hier leben muß, von Tag zu Tag dümmer und schlimmer. Ich muß wieder unter Menschen, von denen ich hier so gut als gänzlich abgesondert bin.

An Eva König, 26. Oktober 1772


29. Oktober: Karl Wilhelm Jerusalem nimmt sich in Wetzlar das Leben.

Wenn ich noch der alte Sperling auf dem Dache wäre, ich wäre schon hundertmal wieder fort.

An Eva König, 8. Januar 1773

Möchte ich nun nicht rasend werden! Ohne die geringste Veranlassung von meiner Seite, läßt man mich ausdrücklich kommen, thut, wer weiß wie schön mit mir, schmiert mir das Maul voll, und hernach thut man gar nicht, als ob jemals von etwas die Rede gewesen wäre. Ich bin zweymal seitdem wieder in Braunschweig gewesen, habe mich sehen lassen, und verlangt zu wissen, woran ich wäre. Aber keine oder doch so gut wie keine Antwort! Nun bin ich wieder hier, und habe es verschworen, den Fuß nicht eher wieder nach Braunschweig zu setzen, bis man eben so von freyen Stücken die Sache zu Ende bringt, als man sie angefangen hat.

An Eva König, 3. April 1773

Es ist ohne dies zwar recht gut, eine Zeitlang in einer großen Bibliothek zu studieren; aber sich darin vergraben, ist eine Raserey.

An Karl Lessing, 8. April 1773


Juni: Lessing und Mendelssohn treffen sich in Braunschweig.

Die ersten beiden Beiträge Zur Geschichte und Litteratur erscheinen.

Denn hier ist es länger nicht auszuhalten. Es wird von Tag zu Tag schlimmer, und die bereits seit anderthalb Jahren verkümmerten Salaria werden es gewiß mit nächsten noch mehr werden.

An Eva König, 8. April 1774

Schlechterdings will ich, in der elenden Lage, in der ich mich hier befinde, kein Jahr länger aushalten, es komme wohin es wolle. Der Unbeständigkeit dürfen mich meine Freunde darum nicht beschuldigen. Es ist nie mein Wille gewesen, an einem Orte, wie Wolfenbüttel, von allem Umgange, wie ich ihn brauche, entfernt, Zeit meines Lebens Bücher zu hüten. Morgen thue ich das schon vier Jahre; und da ich es nur allzu sehr empfinde, wie viel trockner und stumpfer ich an Geist und Sinnen diese vier Jahre, trotz aller meiner sonst erweiterten historischen Kenntniß, geworden bin: so möchte ich es um alles in der Welt willen nicht noch vier Jahre thun. Aber ich muß es auch nicht Ein Jahr mehr thun, wenn ich noch sonst etwas in der Welt thun will. Hier ist es aus; hier kann ich nichts mehr thun.

An Karl Lessing, 30. April 1774

Mit mir ist es aus; und jeder dichterische Funken, deren ich ohnedies nicht viel hatte, ist in mir erloschen.

An Karl Wilhelm Ramler, 12. November 1774

Ich befinde mich seit zwey Jahren in den allerverwirrtesten kümmerlichsten Umständen, und versinke immer tiefer.

An Theophilus Lessing, 8. Dezember 1774


Dezember: Eva König, die bereits Anfang Oktober die Samt- und Seidenfabrik zu vorteilhaften Bedingungen verkauft hat, hofft auf einen raschen Abschluss ihrer Geschäfte.

Ich befinde mich seit vierzehn Tagen in Braunschweig, in einer höchst unangenehmen Lage, so daß ich mir durchaus durch irgend einen gewaltsamen Schritt anderwärts Luft machen muß, wenn ich hier im Schlamme nicht ersticken soll.

An Karl Lessing, 14. Januar 1775

4. Februar: Lessing lässt sich auf 6 Wochen beurlauben (im März: Antrag auf Verlängerung des Urlaubs um weitere 4-5 Wochen).

Februar: Abreise nach Leipzig; Reiseziel ist Wien. In Leipzig besucht er Weiße und Ernestine Christine Reiske (1735-1798). Seit dem Tod ihres Gatten (1774) setzt sie dessen Lebenswerk fort und steht deshalb in Briefverkehr mit Lessing, auf dessen Liebe sie sich wohl Hoffnung gemacht hat.

Dem Herrn von St. hast Du ganz recht geantwortet, daß das Professoriren meine Sache nicht ist. Der andere Vorschlag würde für mich wohl acceptabler seyn, damit ich mein Brodt, nicht als Gelehrter, sondern als ein anderer dummer Teufel verdienen könnte.

An Karl Lessing, 24. März 1775

März: In Dresden besucht Lessing das Antiken-Kabinett; Begegnung mit Philipp Daniel Lippert (1702-1785). Über Prag, wo er mit dem Meister der Wiener Loge »Eintracht«, Ignaz von Born (1742-1791), zusammentrifft, reist er nach Wien weiter. Verlust einer Kiste mit unveröffentlichten Manuskripten.


31. März: Ankunft in Wien und Wiedersehen mit Eva König. Lessing wohnt im Regensburger Hof in der Nähe des Stephansdomes.


April: Lessing wird in Wien mit großer Aufmerksamkeit empfangen; Minna von Barnhelm und Emilia Galotti werden ihm zu Ehren aufgeführt; bei Hof empfangen ihn Maria Theresia und Joseph II.


Anfang April: Der Braunschweigische Prinz Maximilian Julius Leopold (1752-1785) trifft in Wien ein. Er bittet Lessing, ihn auf einer Italienreise zu begleiten.

25. April: Beginn der Italienreise. Sie zieht sich, da der Prinz seine Rückkehr von der Entscheidung des Braunschweigischen Hofes in einer ihn betreffenden diplomatischen Angelegenheit abhängig macht, weit länger hin als ursprünglich geplant. Die Reise führt nach Venedig, Bologna, Florenz, Rom (über Pisa, Livorno, Bastia in Korsika, Genua, Turin, Pavia, Parma), wo man im September eintrifft; im Oktober geht die Reise nach Neapel weiter; Ende Oktober Beginn der Heimreise von Rom aus.

Dieser Vorschmack – will ich Dir nur mit wenigem sagen, hat meinen alten Gedanken, in Italien zu leben und zu sterben, auch schon wieder ganz erneuert: so sehr gefällt mir noch alles, was ich in dieser Gegend höre und sehe.

An Karl Lessing, Mailand 7. Mai 1775

 

24. Dezember: Lessing, der sich in München von dem Prinzen getrennt hat, trifft in Wien ein, wo er Briefe von Eva König vorfindet, die im Mai aus Wien abgereist ist.

Januar / Februar: Auf der Rückreise nach Wolfenbüttel macht Lessing Station in Dresden, wo er eine Audienz beim Kurfürsten Friedrich August III. (1750-1827) erhält (Verhandlung wegen der Stelle als Direktor der Dresdner Kunstakademie), dann in Kamenz, wo er nach elf Jahren Mutter und Schwester wiedersieht, und schließlich in Berlin, wo er den Dichter und Übersetzer Johann Heinrich Voß (1751-1826) sowie den Literaturtheoretiker und Vertreter der »Popularphilosophie« Johann Jakob Engel (1741-1802; Professor am Joachimsthaler Gymnasium) kennenlernt.

23. Februar: Ankunft in Braunschweig. 

Ende April: Lektüre von Johann Anton Leisewitz' (1752-1806) Trauerspiel Julius von Tarent. Lessing ist beeindruckt. Mit dem Autor wird ihn während seiner letzten Wolfenbütteler Jahre eine engere Freundschaft verbinden.

Ich selbst bin nicht übel Willens, noch den Brunnen zu trinken, und zwar auf einem Garten bey Braunschweig, wo ich jetzt fast öfterer bin, als in Wolfenbüttel. Ich mache gewöhnlich meinen Weg zu Fuße hin und her, und wenn ich dabey nichts esse, befinde ich mich außerordentlich wohl. Solche Kur ist wenigstens sehr wohlfeil.

An Eva König, 5. Juni 1776


Anfang Juni: Klärung der Arbeitsbedingungen in Wolfenbüttel: Lessing erhält eine Gehaltserhöhung von 200 Talern, Erlassung aller bisherigen Vorschüsse, neue Vorschüsse von 800-1000 Talern, Zusage einer neuen Wohnung bzw. Entschädigung. Zudem wird ihm der Hofratstitel verliehen.

Worüber Sie sich vielleicht am meisten wundern werden, ist dieses, daß ich nicht umhin gekonnt, den Hofrathstitel mit anzunehmen. Daß ich ihn nicht gesucht, sind Sie wohl von mir überzeugt; daß ich es sehr deutsch heraus gesagt, wie wenig ich mir daraus mache, können Sie mir auch glauben.

An Eva König, 23. Juni 1776


5. September: Der Mannheimer Buchhändler Christian Friedrich Schwan (1733-1815) überbringt Lessing im Auftrag des kurpfälzischen Ministers von Hompesch die Ernennung zum Mitglied der Mannheimer Akademie der Wissenschaften. Mit der Ernennung ist ein Jahresgehalt von 100 Louisd'or verbunden; außerdem erwartet man, dass er beim Aufbau des Mannheimer Nationaltheaters behilflich sein wird.

Ich habe also auf meinen ersten Gedanken zurück kommen müssen, und habe würklich in dem benachbarten Hause, wovon ich Ihnen gesagt, die ganze erste Etage monatsweise gemiethet.

An Eva König, 13. September 1776


8. Oktober: Hochzeit mit Eva König im Privathaus einer befreundeten Familie in Jork (im Alten Land bei Hamburg).

14. Oktober: Rückreise nach Wolfenbüttel. Die Familie (das Ehepaar und drei von Evas Kindern; ihr ältester Sohn Theodor (1757-1809) wohnt wegen eines Fußleidens bei einem Arzt in Landau) bezieht das obere Stockwerk des Meißnerschen Hauses am Schloßplatz in Wolfenbüttel.

Meine Heyrath (die, wie Du von der Schwester wohl wirst gehört haben, nun vollzogen ist,) hat mir allzuviel gekostet, und meine Einrichtung kostet mir noch fast mehr, als ich aufbringen kann. Aber genug, daß ich in der Folge ordentlicher und vernünftiger zu leben, und auch was übrig zu haben, rechnen kann, welches ich wohl nimmermehr würde gehabt haben, wenn ich so fort gelebt hätte.

An Theophilus Lessing, 4. Januar 1777


17. Januar: Lessing reist nach Mannheim und unterbreitet dort seine Vorschläge zur Errichtung und Führung des Theaters. Die Pläne scheitern; in für Lessing unerfreulicher Weise zieht sich das Hin und Her um sein Engagement bis März hin; das mit zunehmender Erbitterung geführte briefliche Nachspiel setzt im April ein. In Mannheim lernt Lessing in Friedrich Müller (genannt Maler Müller; 1749-1825) einen weiteren Vertreter der jungen Dichtergeneration näher kennen.


8. März: Die Schwester Dorothea Salome benachrichtigt Lessing vom Tod der Mutter.

Ich erkenne es mit unterthänigstem Danke, daß Serenissimus mir das von den Schäfferischen Erben bisher bewohnte Herrschaftliche Haus für das Künftige gnädigst anweisen zu lassen, geruhen wollen; und erkläre mich, wegen der in dem Börnerischen Hause mir bereits eigenthümlich zustehenden Tapeten dahin, daß ich das, was ich davon in der neuen Wohnung nicht selbst brauchen dürfte, auf die angezeigte Bedingung darin zu lassen bereit bin. 
Wegen des Holz-Deputats aber kann ich nicht umhin, Serenissimo unterthänigst vorzustellen, daß ich mich bei der neuen deßfalls gemachten Verfügung nicht zum besten befinden würde, wenn ich von hieraus das angewiesene Holz abhohlen lassen und mich dazu hiesiger Fuhrleute bedienen müßte: wesfalls ich mich zu bitten unterstehe, gnädigst zu verordnen, daß mir wenigstens solches für die gewöhnliche Cammer-Taxe, wie es andern in solchen Fällen geschieht, jederzeit angeführet werde.

An die fürstliche Kammer in Braunschweig, 23. April 1777


(Vermutlich) September: Johann Daniel Schumanns (1714-1787) Gegenschrift eröffnet den Streit um die von Lessing als Fund in der Bibliothek ausgegebenen Fragmente von Reimarus, die in den Augen der meisten Theologen die Fundamente des Christentums erschüttern.


20. Dezember: Besuch Mendelssohns in Wolfenbüttel.


Ende Dezember: Umzug der Familie Lessing in das Schäffersche Haus (das heutige Lessinghaus). Dort wird am 25. Dezember der Sohn Traugott geboren, der seine Zangengeburt nur 24 Stunden überlebt.

Ich ergreiffe den Augenblick, da meine Frau ganz ohne Besonnenheit liegt, um Ihnen für Ihren gütigen Antheil zu danken. Meine Freude war nur kurz: Und ich verlor ihn so ungern, diesen Sohn! denn er hatte so viel Verstand! so viel Verstand! – Glauben Sie nicht, daß die wenigen Stunden meiner Vaterschaft, mich schon zu so einem Affen von Vater gemacht haben! Ich weiß, was ich sage. – War es nicht Verstand, daß man ihn mit eisern Zangen auf die Welt ziehen mußte? daß er sobald Unrath merkte? – War es nicht Verstand, daß er die erste Gelegenheit ergriff, sich wieder davon zu machen? – Freylich zerrt mir der kleine Ruschelkopf auch die Mutter mit fort! – Denn noch ist wenig Hoffnung, daß ich sie behalten werde. – Ich wollte es auch einmal so gut haben, wie andere Menschen. Aber es ist mir schlecht bekommen.

An Johann Joachim Eschenburg, 31. Dez. 1777

Ich habe nun eben die traurigsten vierzehn Tage erlebt, die ich jemals hatte. Ich lief Gefahr, meine Frau zu verlieren, welcher Verlust mir den Rest meines Lebens sehr verbittert haben würde. Sie ward entbunden, und machte mich zum Vater eines recht hübschen Jungen, der gesund und munter war. Er blieb es aber nur vier und zwanzig Stunden, und ward hernach das Opfer der grausamen Art, mit welcher er auf die Welt gezogen werden mußte. Oder versprach er sich von dem Mahle nicht viel, zu welchem man ihn so gewaltsam einlud, und schlich sich von selbst wieder davon? Kurz, ich weiß kaum, daß ich Vater gewesen bin. Die Freude war so kurz, und der Betrübniß ward von der größten Besorgniß so überschrieen! Denn die Mutter lag ganzer neun bis zehn Tage ohne Verstand, und alle Tage, alle Nächte jagte man mich ein paarmal von ihrem Bette, mit dem Bedeuten, daß ich ihr den letzten Augenblick nur saurer mache. Denn mich kannte sie noch bey aller Abwesenheit des Geistes. Endlich hat sich die Krankheit auf einmal umgeschlagen, und seit drey Tage habe ich die zuverlässige Hoffnung, daß ich sie diesmal noch behalten werde, deren Umgang mir jede Stunde, auch in ihrer gegenwärtigen Lage, immer unentbehrlicher wird.

An Karl Lessing, 5. Januar 1778


10. Januar: Eva Lessing stirbt.

Lieber Eschenburg,
Meine Frau ist todt: und diese Erfahrung habe ich nun auch gemacht. Ich freue mich, daß mir viel dergleichen Erfahrungen nicht mehr übrig seyn können zu machen; und bin ganz leicht. – Auch thut es mir wohl, daß ich mich Ihres, und unsrer übrigen Freunde in Braunschweig, Beyleids versichert haben darf.

An Johann Joachim Eschenburg, 10. Januar 1778


Lessings Haushalt führt bis zu seinem Tod die Stieftochter Maria Amalia (»Malchen«, später verheiratete Henneberg; 1761-1848).

Seine gute Mutter, meine Frau, ist todt. Wenn Du sie gekannt hättest! – Aber man sagt, es sey nichts als Eigenlob seine Frau zu rühmen. Nun gut, ich sage nichts weiter von ihr. Aber wenn Du sie gekannt hättest! Du wirst mich, fürchte ich, nie wieder so sehen, als unser Freund Moses mich gefunden hat: so ruhig, so zufrieden, in meinen vier Wänden!

An Karl Lessing, 12. Januar 1778

Mein lieber Eschenburg,
Gestern Morgen ist mir der Rest von meiner Frau vollends aus dem Gesichte gekommen. – Wenn ich noch mit der Einen Hälfte meiner übrigen Tage das Glück erkauffen könnte, die andre Hälfte in Gesellschaft dieser Frau zu verleben; wie gern wollte ich es thuen. Aber das geht nicht: und ich muß nur wieder anfangen, meinen Weg allein so fort zu duseln.

An Johann Joachim Eschenburg, 14. Januar 1778

Sie werden es kaum glauben, daß ich die muthwilligsten Stellen in meinen Schnurren oft in sehr trüben Augenblicken geschrieben habe. Jeder zerstreut sich so gut als er kann.

An Johann Albert Henrich Reimarus, 6. April 1778


6. Juli: Kabinettsbefehl des Herzogs an den Direktor der Braunschweigischen Waisenhausbuchhandlung, in dem die Zensurfreiheit für die Beiträge Zur Geschichte und Litteratur (also die Reimarus-Fragmente und alle darauf bezüglichen Streitschriften) widerrufen wird: verordnetes Ende des Fragmentenstreits. Lessing greift einen alten Dramenplan auf: Nathan der Weise.

13. Juli: Der Herzog fordert Lessing auf, das Manuskript, aus dem die Fragmente veröffentlicht worden sind, an die Bibliothek zurückzugeben.


Während seiner letzten Lebensjahre gewinnt der Hamburger Freundeskreis für Lessing größere Bedeutung; zur wichtigsten Vertrauten und Briefpartnerin wird ihm Elise Reimarus. Reisen nach Hamburg werden auch wegen der Erbschaftsangelegenheiten seiner Stiefkinder nötig. Auf einer dieser Reisen (September 1778) lernt er den Pädagogen Joachim Heinrich Campe (1746-1818) kennen. Campe wirkt seit Herbst 1777 in Hamburg als Erzieher; er leitet eine eigene (nicht-öffentliche) Erziehungsanstalt, in der er Prinzipien Rousseaus verwirklichen will; 1786 wird er mit der Reform des braunschweigischen Erziehungswesens betraut. Lessing interessiert sich besonders für seine 1773 erschienenen Philosophischen Gespräche.

Ich bin mir hier ganz allein überlassen. Ich habe keinen einzigen Freund, dem ich mich ganz anvertrauen könnte. Ich werde täglich von hundert Verdriesslichkeiten bestürmt. Ich muß ein einziges Jahr, das ich mit einer vernünftigen Frau gelebt habe, theuer bezahlen. Ich muß alles, alles aufopfern, um mich einem Verdachte nicht auszusetzen, der mir unerträglich ist. Wie oft möchte ich es verwünschen, daß ich auch einmal so glücklich seyn wollen, als andere Menschen! Wie oft wünsche ich, mit eins in meinen alten isolirten Zustand zurückzutreten; nichts zu seyn, nichts zu wollen, nichts zu thun, als was der gegenwärtige Augenblick mit sich bringt! – Sehen Sie, meine gute Freundin, so ist meine wahre Lage. [...] Doch ich bin zu stolz, mich unglücklich zu denken, – knirsche eins mit den Zähnen, – und lasse den Kahn gehen, wie Wind und Wellen wollen. Genug, daß ich ihn nicht selbst umstürzen will!

An Elise Reimarus, 9. August 1778

Ich muß versuchen, ob man mich auf meiner alten Kanzel, auf dem Theater wenigstens, noch ungestört will predigen lassen.

An Elise Reimarus, 6. September 1778

14. Januar: Bei Eschenburg in Braunschweig begegnet Lessing dem Entdeckungsreisenden, Naturforscher und Publizisten Johann Georg Forster (1754-1794), der ihn wenige Tage später in Wolfenbüttel besucht.

Mai: Lektüre von Friedrich Heinrich Jacobis (1743-1819) Roman Woldemar.

Juni: Karl Lessing geht von Berlin als Münzdirektor nach Breslau.

Lessings Gesundheitszustand wird zunehmend schlechter.

Dieser Winter ist sehr traurig für mich. Ich falle aus einer Unpäßlichkeit in die andere, deren keine zwar eigentlich tödtlich ist, die mich aber alle an dem Gebrauch meiner Seelenkräfte gleich sehr verhindern.

An Karl Lessing, 25. Februar 1780


26. März: Herzog Karl von Braunschweig (geb. 1713) stirbt. Der Erbprinz tritt als Herzog Karl II. Wilhelm Ferdinand die Regierung an.


5.-11. Juli: Besuch Jacobis in Wolfenbüttel und Braunschweig; Gespräche über Spinoza und den Pantheismus; etwa zwischen 10. und 15. August (zweiter Besuch Jacobis) sind beide gemeinsam in Braunschweig und bei Gleim in Halberstadt.

So sehr ich nach Hause geeilt: so ungern bin ich angekommen. Denn das Erste, was ich fand, war Ich selbst.

An Elise Reimarus, 9. November 1780


Ende November: Der Fragmentenstreit droht für Lessing ernste Konsequenzen zu haben, vom Herzog, der ihm jedoch offenkundig helfen möchte, erfährt er, daß das »Corpus evangelicorum« (die Vereinigung der evangelischen Reichsstände) ihn wegen der Herausgabe des Fragments Von den Zwecke Jesu und seiner Jünger zur Rechenschaft ziehen lassen will.

Ich glaube nicht, daß Sie mich als einen Menschen kennen, der nach Lobe heißhungrig ist. Aber die Kälte, mit der die Welt gewissen Leuten zu bezeugen pflegt, daß se ihr auch gar nichts recht machen, ist, wenn nicht tödtend, doch erstarrend. Daß Ihnen nicht alles gefallen, was ich seit einiger Zeit geschrieben, das wundert mich gar nicht. Ihnen hätte gar nichts gefallen müssen; denn für Sie war nichts geschrieben. Höchstens hat Sie die Zurückerinnerung an unsere beßern Tage, noch etwa bey der und jener Stelle täuschen können. Auch ich war damals ein gesundes schlankes Bäumchen; und bin itzt ein so fauler knorrichter Stamm! Ach, lieber Freund! Diese Scene ist aus! Gern möchte ich Sie freylich noch einmal sprechen!

An Moses Mendelssohn, 19. Dezember 1780

15. Februar: Lessing stirbt in Braunschweig; um ihn sind die Stieftochter Amalia und Alexander Daveson (1755-?), ein jüdischer Kunsthändler, den nach einer Haft wegen des Vorwurfs betrügerischer Machenschaften Lessing zeitweise bei sich aufgenommen hat. Lessing wird auf dem Braunschweiger Magnifriedhof beigesetzt.

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